Neujahrsbrief an die Mutter

Vor wenigen Tagen erhielt ich einen Umschlag aus dem Nachlass der Großmutter meiner Frau. Darin waren zahlreiche interessante Dokumente aus der Familienlinie enthalten. Unter anderem fand ich in diesem Umschlag auch einen Brief ihres Vaters Otto Hermann Wurl, den er im Alter von fünfzehn Jahren als Neujahrsgruß an seine Mutter geschrieben hatte. Diesen Brief fand ich sehr beeindruckend, spricht doch aus ihm die tiefe Liebe des Jungen zu seiner Mutter.

Den Brief habe ich wörtlich transkribiert. Das zum Schluss in Klammern gesetzte „Euer“ könnte aber möglicherweise darauf hindeuten, dass dieser Brief eventuell aber auch abgeschrieben wurde, möglicherweise im Rahmen des Konfirmandenunterrichts. Dennoch ein schönes Zeitdokument.

Neu-Langsow, den 1. Januar 04

Innigst geliebte Mutter!

Beim Eintritt des neuen Jahres empfinde ich mehr je das Bedürfnis Dir den schuldigen Dank darzubringen für alle Erweisungen der Liebe, die mir wie immer, auch in dem verflossenen Jahre so reichlich zu teil wurden. Deiner treuen Fürsorge verdanke ich ja das unzählige Gute, das ich bisher genossen. Wohl erkenne ich, daß ich Dir dasselbe nie nie vergelten kann, aber darum fühle ich um so mehr, wie große Ursache ich habe Dir wenigstens, soviel ich vermag, durch Gehorsam Freude zu bereiten. Es soll mir heilige Pflicht sein, alles zu vermeiden, wodurch ich Dir betrüben könnte. Durch angestrengten Fleiß will dahin streben, Dir recht zu erfreuen. Ich flehe zu Gott, daß er mir Kraft gebe und diesen Vorsatz gelingen lasse. Möge Gott Dir im neuen Jahre mit Gesund und Zufriedenheit segnen, damit Du an seiner Vaterhand vor allen Unglücksfällen bewahrt bleiben. Mögen Dir noch recht viele an Freuden reiche Jahre beschieden sein. Darum bittet Gott am heutigen Tage (Euer) Dein gehorsamer Sohn

Otto

 

Otto Wurl wurde 1889 in Neu-Langsow, im Oderbruch, geboren. Zwei Schwestern zählten noch zur Familie. Sein Vater starb schon 1897. Über eine Wiederverheiratung der Witwe ist bisher nichts bekannt, so das davon auszugehen ist, dass Ottos Mutter die Familie allein durchs Leben brachte. Otto war Soldat im I. Weltkrieg und Träger des EK I. Später wurde er Gärtner bei der Deutschen Bahn. Otto starb 1966 in Deutsch Wusterhausen.


Beitragsbild: Seite II und III des Briefes. Original im Besitz des Verfassers.