Familie

Meine Urgroßmutter Marianne Janeczek

In Berlin lernte Hermann seine spätere Frau Marianne kennen und lieben. Das Aufgebot für die Hochzeit bestellten die beiden Verlobten am 3. September 1907 beim Standesamt Rixdorf.

Hermann und Marianne um 1906 Quelle: Familienarchiv

Hermann wohnte seit dem 3. Oktober 1906 in der Hagelsberger Str. 35 bei Familie Gollnik, einer Tante von ihm. Marianne wohnte seit dem 1. März 1907 in der Kaiser Friedrich Straße 246. Für Marianne gibt es auch eine polizeiliche Anmeldung vom 9. Oktober 1907, die sie ebenfalls unter dieser Adresse vermerkt.
Am 10. Oktober 1907 heiratete Hermann Seyer seine Verlobte Marianne Janeczek im Standesamt Berlin-Rixdorf. Die Trauung ist unter Nr. 393/1907 im Register eingetragen. Als Trauzeugen traten der 27-jährige Bautechniker Julius Karl Ludwig Mergner, und der 35-jährige Schirrmann Karl Gollnik, bei dem Hermann vor der Hochzeit wohnte, auf. Karl Gollnik ist der Mann seiner Tante Anna Wilhelmine Maria Seyer und möglicherweise ein Kollege von Hermann.
Am 10. Oktober fand auch die kirchliche Hochzeit statt. Traukirche war die im gleichen Jahr fertig gestellte Kirche St. Bonifatius Kirche in Berlin-Kreuzberg. Trauzeugen bei der kirchlichen Trauung waren Karl Gollnik und Stephan Szymanski. Wie die Szymanskies zur Familie stehen, ist bisher nicht klar.
Mit dieser Hochzeit wurde leider ein Familienstreit ausgelöst. Es kam zum Zerwürfnis mit dem Vater, weil Hermann Seyer am Tag der Eheschließung vom evangelischen zum katholischen Glauben. Ob es noch zu einer Versöhnung kam, ist nicht bekannt.

Standesamtseintrag der Trauung 1907; Quelle: StA Rixdorf II 393/1907 ancestry – Originalquelle: Heiratsregister der Berliner Standesämter 1874 – 1920. Digital images. Landesarchiv, Berlin, Deutschland.
Standesamtseintrag der Trauung 1907; Quelle: StA Rixdorf II 393/1907 ancestry – Originalquelle: Heiratsregister der Berliner Standesämter 1874 – 1920. Digital images. Landesarchiv, Berlin, Deutschland.

Marianne Janeczek wurde am 15. Dezember 1885 in Bomst geboren. Bomst, heute Babimost, gehörte zur damaligen Provinz Posen. Ein Taufdatum ist nicht bekannt, da die Kirchenbuchduplikate von Bomst im Brandenburger Landeshauptarchiv Potsdam für diese Jahrgänge nicht mehr vorhanden sind und sich in meinem Besitz nur Auszüge aus dem Standesamtsregister der Stadt Bomst befinden. Taufort wird aber wohl auch Bomst gewesen sein. Die Familie Janeczek war katholisch.

Laut Aussagen meines Großvaters ging seine Mutter kurz nach der Jahrhundertwende nach Berlin „in Stellung“. Sie war eine von etwa 45.000 jungen Mädchen, die jährlich in die Reichshauptstadt zogen, um dort eine Anstellung als Dienstmädchen zu finden. Der erste Weg führte die jungen Mädchen aus der Provinz häufig in eines der zahlreichen Vermittlungsbüros für Hausangestellte, in der Hoffnung, eine Anstellung vermittelt zu bekommen. Besser hatten es die Neuankömmlinge, die bereits über Kontakte in der Stadt verfügten. Welcher Fall für Marianne galt, ist noch nicht geklärt. Auch die zwei Jahre jüngere Schwester von Marianne, Anna Janeczek, ging als Dienstmädchen nach Berlin, wo sie später dann 1909 ihren Mann Karl Holzhüter heiratete. Interessant ist, dass Karl Holzhüter zuvor bei Familie Gollnik unterkam, die auch schon Hermann Seyer beherbergte.Der Dienst, den die Hausmädchen zu absolvieren hatten, war hart, auch wenn man die harte Arbeit vom Lande gewöhnt war. Sie schufteten bis zu 16 Stunden am Tag und hatten nur jeden zweiten Sonntag frei. Hausmädchen waren die ersten, die früh aufstehen mussten, um Wasser zu holen, die Öfen zu entzünden und das Essen zuzubereiten. Über den Tag wurde Wäsche gewaschen, eingekauft, geputzt und jede andere Arbeit im Haushalt erledigt. Sie waren sprichwörtlich die Mädchen für alles. Abends waren sie die letzten, die zu Bett gehen konnten. Ihre Schlafstatt stand in einer winzigen Kammer unter der Treppe, auf dem Dachboden oder gleich in der Küche. Oft waren Zwischenböden in den hohen Berliner Wohnungen eingezogen worden, auf denen die Mädchen mit ihren wenigen Habseligkeiten hausten. Rechte und Pflichten der Dienstmädchen wurden durch die Preußische Gesindeordnung geregelt. Jedes Dienstmädchen hatte ein Gesindebuch, in dem die Hausherrin die Dauer der Dienstzeit und ein kurzes Arbeitszeugnis eintrug. Gute Zeugnisse waren wichtig, um möglichst gute Stellungen zu erhalten.

Wo und wann genau Marianne gearbeitet hat, wird sich wohl nicht herausfinden lassen.
Bei ihrem Aufgebotseintrag bzw. in der Meldebescheinigung findet sich jedoch nicht mehr der Eintrag als Dienstmädchen, sondern die Berufsangabe Verkäuferin. Diese Bezeichnung gibt erste Anhaltspunkte, welche Anstellung Marianne vor ihrer Ehe hatte. Gemeldet war sie bei Richard Heinrich in der Kaiser-Friedrich-Str. 246 in Rixdorf. Diese Straße heißt heute „Sonnenallee“.In den Berliner Adressbüchern finden sich zu Richard Heinrich mehrere Einträge. Sein Beruf wird mit Kaufmann angegeben. Im Branchenverzeichnis wird unter der oben genannten Adresse ein Kolonialwarenhandel geführt. Es sieht also so aus, dass Marianne in diesem Laden den Beruf erlernte oder zumindest vor ihrer Ehe dort angestellt war. Hier legte sie wohl auch den Grundstock für ihren späteren eigenen Laden. Ob sie bei der Familie vorher auch als Hausmädchen angestellt war, lässt sich nicht feststellen.

Herrmann war zeitlebens bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt, und wurde später Reichsbahnobersekretär. Sein Arbeitsplatz war dann der Anhalter Bahnhof, Bereich Güterverkehr.
Marianne betrieb nach einem Umzug (verlinken auf Wohnorte) in das Haus Hranitzkystraße einen kleinen Kolonialwarenladen, in dem Brot, Fleisch, Obst und Gemüse verkauft wurde. Die Geschäfte gingen gut, und so konnte auch bald ein dreirädriger Lieferwagen angeschafft werden, mit dem die Einkäufe der Kunden bis nach Hause gefahren wurden. Die Ware für den Laden wurde in den umliegenden Dörfern bei den Bauern beschafft. So war es selbstverständlich, dass alle Kinder im Laden mithalfen.

Im Jahr 1934 wurde Hermann wegen eines Herzleidens frühpensioniert. Ein weiterer Grund für sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben war wohl auch, dass er als Christ und Mitglied der Zentrums-Partei oft seine Ablehnung des Nationalsozialismus zum Ausdruck brachte. Den geforderten Eintritt in die NSDAP lehnte er kategorisch ab.

Detailliertere Informationen zum Berufsleben und zu seinem Werdegang bei der Bahn erhoffte ich mir aus der Personalakte. Leider waren, aus Gründen der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht, die Akten aus dem Geburtsjahrgang 1884 schon lange vernichtet.