Jochim Seyer

Jochim Seyer – Tagelöhner, Pfänder und Stammvater

Das erste gesicherte Datum meiner Familiengeschichte ist ein Hochzeitseintrag von 1731 im Kirchenbuch von Abbendorf, einem kleinen Dörfchen direkt an der Elbe in der Nähe des heutigen Bad Wilsnack.

Jochim Seyer heiratet seine Braut Anna Bluhm(e) oder auch mal Blohme geschrieben am 2.Oktober 1731 in Abbendorf. Wörtlich heißt es im Kirchenbuch: „Jochiem Seyer, ein Taglöhner ist mit Anna Bluhme copul. d. 2tn Oct.“

Tagelöhner gehörten zur damaligen Zeit zur Unterschicht der Bevölkerung in den Dörfern. Sie waren oft ungelernte Menschen, die keiner geregelten Arbeit nachgingen oder nachgehen konnten und sich sprichwörtlich täglich ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Man lebte als Tagelöhner von der Hand in den Mund. Tagelöhner hatten oft keinen festen Wohnsitz und ließen sich dort nieder, wo es Arbeit gab. Häufig wohnten oder lebten sie bei ihrem Arbeitgeber auf dem Hof.

Gerade auch deshalb ist die Situation schwierig, genau zu klären, woher Jochim genau stammte. Er könnte schon jahrelang auf der Suche nach Arbeit umhergezogen sein. Auch genaue Daten unserer Stammmutter Anna Bluhme fehlen bisher. Auch bei ihr ist der Traueintrag der erste konkrete Hinweis.
Die Familie Bluhm(e) ist vor 1700 noch nicht im Kirchenbuch von Abbendorf zu finden, stammt möglicherweise aber aus dem Nachbarort Gnevsdorf. Leider ist das Kirchenbuch von Gnevsdorf nur in einer sehr schlechten Qualität erhalten, teilweise fehlen ganze Textpassagen, so dass ein Entziffern der Einträge nur sehr schwer möglich ist. Der Vater von Anna könnte Jochim Bluhme sein. Dieser wird in einer Prästationsliste von 1727 als Kossät in Abbendorf aufgeführt. Es ist der erste Hinweis, der mir für eine Familie Bluhme in diesem Ort vorliegt. In dieser Prästationstabelle, welche die zu leistenden Hand- und Spanndienste für die Gutsherren angibt, ist angegeben, dass Jochim Bluhme für die Herren von Saldern Dienst tun muss.

Zieht man das Sterbealter von Anna Bluhme zu einer Geburtsjahresbestimmung hinzu, was jedoch nur eine ungefähre Jahreszahl ergibt, errechnet sich eine Geburt etwa im Jahr 1694. Anna Bluhme wäre dann bei ihrer Heirat etwa 37 Jahre alt gewesen. Das hohe Alter bei der Hochzeit erscheint mir hier jedoch eher unwahrscheinlich, zumal die Ehefrau im Laufe der folgenden Jahre noch mindestens sechs Kinder bekam. Wahrscheinlich wurde das Alter im Sterbeeintrag falsch eingetragen.

Es ist durchaus möglich, dass es unserem Stammvater durch diese Hochzeit gelungen ist, sesshaft zu werden auch wenn es sich auf dem Kossätenhof des Schwiegervaters sicher nicht im Überfluss leben ließ.

Das frisch vermählte Paar bleibt zunächst in Abbendorf wohnen und bekam bald den ersten Nachwuchs. Am 20.Oktober des Jahres 1732 wird der Stammhalter geboren. Nur einen Tag später bekommt er den gleichen Namen wie sein Vater. Fünf Paten stellt man dem Kind zur Seite. Doch dem Kind ist nur ein sehr kurzes Leben vergönnt. Nur ein halbes Jahr nach seiner Geburt, stirbt Jochim junior am 22.Mai 1732 in Abbendorf und wird dort drei Tage später beerdigt. Im Jahr 1734 wird der nächste Nachwuchs erwartet. Wieder erblickt ein Junge das Licht der Welt.
Christian Seyer, der meine Familienlinie weiterführen wird, wird am 16.Juni geboren und am 20.des gleichen Monats getauft. Auch er bekommt fünf Paten zur Seite gestellt. Es sind Christian Peper, Simon Ludewig, Mertin Redlich – ein Reitknecht auf der Plattenburg, Gret Zabel von der Plattenburg und Anna (Seyers?) aus Groß Leppin. Die beiden Paten von der Plattenburg könnten darauf hindeuten, dass es Beziehungen dorthin gibt. Zumal es Hinweise auf den Namen Seyer in den frühen Kirchenbüchern der Plattenburg gibt.

Christian bekommt in den darauffolgenden Jahren noch zwei Schwestern. Anna Dorothea wird am 28.Oktober 1736 geboren und kurz darauf am 31. des Monats getauft. Christians zweite Schwester erblickt das Licht der Welt am 4.November 1739 und wird noch am selben Tag getauft. Sie erhält den Namen Maria Dorothea. Über den weiteren Lebensweg der beiden Schwestern ist bisher nichts bekannt.

Wird im Traueintrag der Beruf unseres Stammvaters noch mit Tagelöhner angegeben, so scheint Jochim um das Jahr 1740 eine Anstellung als Pfänder bekommen zu haben. Vielleicht qualifizierte er sich für diese Stelle dadurch, dass er in seinen jungen Jahren Soldat war. Das könnte auch eine Erklärung für eine späte Heirat sein. Möglicherweise war er vorher auch schon einmal verheiratet.

Pfänder waren Menschen, die als Feldhüter oder Feldaufseher, als Polizist oder gar als Fronbote arbeiteten. Dieser Beruf war sicher ein Aufstieg im Leben unseres Vorfahren, denn man kann davon ausgehen, dass Lebensunterhalt und Versorgung der Familie jetzt sicherer waren. In wieweit sich durch Standeswechsel auch das Ansehen bei seinen Mitmenschen geändert haben mag, kann man nur vermuten. Pfänder waren sicher nicht immer gern gesehene Leute, denn oft mussten sie auch dem einfachen Mann bei Schulden Gegenstände pfänden. Man kann sich sicher vorstellen, wie sich eine Bauersfrau gefühlt haben mag, der man noch den Topf vom Herd nahm.

Auch damals endeten manche Pfändungsangelegenheiten vor Gericht. Das Jochim Seyer als Pfänder tätig wurde, lässt sich mit zwei Dokumenten aus dem Brandenburger Landeshauptarchiv belegen. Diese Dokumente sind auf die Jahre 1751 und 1752 datiert. Das Ehepaar wechselt mit der Arbeit auch den Wohnsitz. Die ganze Familie verzog mit Sack und Pack in das rund 20 km entfernte Vehlgast oder auch nach Damerow. Genau geht das aus den späteren Kirchenbucheinträgen nicht hervor, da Vehlgast und Damerow im selben Kirchenbuch verzeichnet sind.

Im neuen Wohnort kommt der dritte Sohn am 13.August 1742 auf die Welt. Am 19. August wird er auf die Namen Johann Daniel getauft. Sein Vater wird jetzt auch im Kirchenbuch als Pfänder bezeichnet. Johann Daniel heiratet 1764 Catharina Marie Rauen und bekommt von ihr im Zeitraum von 1765 bis 1776 fünf Kinder, wovon auch nur eines als Kleinkind verstirbt. Er selbst stirbt am 13.Januar 1813 im Alter von 71 Jahren, seine Frau sieben Jahre später. Der Familienzweig des Daniel Seyer lässt sich bis in die 1950er Jahre verfolgen.

In Vehlgast werden dem Ehepaar Seyer/Bluhme noch zwei weitere Kinder geboren. Das fünfte Kind, eine Tochter, wird entweder tot geboren oder stirbt kurz nach der Geburt. Sie wird namenlos am 28. Februar 1745 begraben. Das sechste Kind des Pfänderehepaars ist wiederum eine Tochter. Anna Sophia Christine wird am 5.Dezember 1745 geboren und am 12.Dezember getauft. Ihr ist nur ein kurzes Leben beschieden. Nach ihrem frühen Tod wird sie am 4.April 1749 beigesetzt.

Ende Juni des Jahres 1758 stirbt unser Stammvater. Im Kirchenbuch heißt es dazu kurz und knapp: „ d.26.ten Juni ist der Pfänder Jochim Seyer begraben “.

Das Aufbahren des Verstorbenen vor der Beerdigung war üblich. Oft hielten Frauen die Totenwache. Problematisch war, dass diese Zeremonie oft in dem Raum stattfinden musste, in dem der Rest der Familie lebte, aß und schlief. Besondere Trauerkleidung wurde in der Regel nicht getragen, da die einfachen Menschen in der Regel überhaupt nicht über viele Wechselsachen verfügten. Die tägliche Kleidung war zudem sowieso von dunkler Farbe. Als Zeichen der Trauer wurde ein schwarzes Kopf- oder Schultertuch gebraucht. Der Pfarrer und der Küster wurden für ihre Handlungen während der Beerdigung bezahlt. So mussten für das Läuten der Glocken oder eine gesonderte Predigt, festgelegte Gebühren bezahlt werden.

Wer die Versorgung der Familie nach dem Tod des Vaters übernahm, ist noch nicht ganz klar. Die Witwe hat nach meinen Erkenntnissen kein weiteres Mal geheiratet. Unsere Stammmutter stirbt am 16.März 1784. Im Kirchenbuch von Vehlgast heißt es dazu: Die alte Seyersche Anna Blohme ist den 16 t Martu in d Nacht um 12 Uhr aus alter gestorben, und d 21 t ejusd. beerdigt. Alt 90 Jahr „

Dieses hohe Alter ist für damalige Verhältnisse äußerst ungewöhnlich. Ob es wirklich auch neunzig Lebensjahre waren, kann man sicher nicht genau feststellen, es sei denn, man würde den Geburtseintrag in einem Kirchenbuch ausfindig machen. Ich würde dieses hohe Alter aber eher anzweifeln, da Anna Bluhme wie vorher schon erwähnt, bei ihrer Hochzeit und den anschließenden Geburten ein recht hohes Alter gehabt hätte. Vielleicht sind es eher 80 Jahre gewesen. Sehr oft stimmen die angegebenen Altersangaben in den Kirchenbüchern auch nicht mit dem wahren Alter überein, aber bei unserer Vorfahrin kann man mit Sicherheit von einem sehr hohen Lebensalter ausgehen.