DDR-Rundfahrten 1950-1956

Neben der „Internationalen Friedensfahrt“ war die „DDR-Rundfahrt“ ein weiterer Höhepunkt im Rennkalender der ostdeutschen Amateurfahrer. Anfangs wurde das Rundstreckenrennen auch als „Friedensfahrt durch die DDR“ bezeichnet. Im Jahr 1949 zum ersten Mal ausgetragen, führte der Rennverlauf über sieben bis zehn Etappen quer durch die DDR. Anfang der fünfziger Jahre betrug die Renndistanz durchschnittlich etwa 1.500 km.

Paul Dinter nahm von 1950 bis 1956 sechs Mal an der „DDR-Rundfahrt“ teil. Er konnte 1950 zwei Etappen gewinnen. Dieses Jahr kann man mit Sicherheit als die erfolgreichste Teilnahme Dinters bei der „DDR-Rundfahrt“ bezeichnen. Von einigen Etappen liegen Zeitungsartikel und andere Notizen vor, die von meinem Großvater gesammelt und für diesen Beitrag von mir ausgewertet wurden. Die Fotos sind der privaten Sammlung meines Großvaters entnommen.

1950

Am 2. August 1950 startete Paul Dinter in einer Brandenburger Auswahlmannschaft zur ersten Etappe der „Friedensfahrt durch die DDR“. Start und Ziel des Rennens über zehn Etappen war Berlin.

Die erste Etappe führte über 268 km von Berlin nach Stralsund. Weder Dinter noch die Brandenburger Mannschaft spielten beim Ausgang des Abschnittes eine entscheidende Rolle.

Auf dem Weg nach Schwerin, Quelle: Familienarchiv
Siegerehrung in Schwerin, Quelle: Familienarchiv

Die zweite Etappe am Folgetag startete gegen Mittag in Stralsund und führte die Fahrer nach Schwerin. „Gegen 17.50 Uhr wird vorn gemeldet: -die Nummern 7 und 30 fahren ab! – 7 trägt Paul Dinter und 30 Weber (Sachsen I) Beide holen sich die Prämien in Wismar. Ab 18 Uhr aber fährt nur noch einer an der Spitze, um sie nicht mehr abzugeben“ Als Preis für den erfolgreichen Prämienspurt in Wismar gab es seinerzeit zwei Sessel. Paul Dinter fuhr bis zum Ziel über drei Minuten Vorsprung heraus und gewann vor Rudi Kirchhoff seine erste Etappe bei der „DDR-Rundfahrt“. In der Gesamtwertung rutschte er damit von Platz 14 auf Platz fünf vor.

War es noch am Vortag unerträglich heiß gewesen, goss es am Folgetag in Strömen. Auf den schlechten Straßen ging das zu Lasten des Materials. Als Paul Dinter vom Rad musste, weil seine Schaltung ihren Dienst versagte, wurde im Feld sofort angegriffen. Sein Mannschaftskamerad Mohaupt blieb zurück und gemeinsam konnten sie den Anschluss an das Feld schnell wiederherstellen. Am Etappenzielort Magdeburg kam es nach über 200 km zum Zielspurt. Paul Dinter, eher nicht als Sprintertyp bekannt, konnte einen hervorragenden dritten Platz einfahren und verbesserte sich in der Gesamtwertung auf Platz vier.

Beim Start der vierten Etappe von Magdeburg nach Leipzig gingen noch 67 Fahrer an den Start. Dinters Mannschaftskamerad Beyer konnte man auf dieser Etappe getrost den größten Pechvogel nennen. Fünfmal Kettenschaden und zum Schluss einen Gabelbruch musste er auf den 160 km verkraften. An der Spitze hatten sich hinter einem Ausreißer zwei Gruppen gebildet. In der ersten Gruppe fuhr auch Paul Dinter mit, stürzte jedoch in Gollmenz und verlor dadurch den Anschluss an die Verfolger, weil er zu allem Übel auch noch den Reifen wechseln musste. Er kam als zehnter in der Verfolgergruppe durchs Ziel. In der Gesamtwertung blieb er, mit knapp 23 Minuten Rückstand auf Trefflich, Vierter.

Am darauffolgenden Ruhetag feierte Paul Dinter seinen 28. Geburtstag.

Auf der fünften Etappe von Leipzig nach Erfurt konnte der ortsansässige Fahre Zieger mit einem Alleinritt glänzen. Mit zehn Minuten Vorsprung vor dem Hauptfeld gewann er die Etappe. Paul Dinter wurde auf dieser Etappe als sechster, zeitgleich mit den Verfolgern, gewertet.

Reifenwechsel 1950, Quelle: Familienarchiv

Die sechste Etappe von Erfurt nach Gera führte die Fahrer in bergiges Gelände. Ein mir vorliegender Zeitungsartikel trägt die Überschrift: „Weber der Sieger – Dinter der Held“, eine Überschrift, die schon einiges über den Rennverlauf erahnen lässt. Paul Dinter fuhr in der Spitzengruppe, als er kurz vor Blankenburg einen Reifenschaden hatte. Die Fahrer mussten den Reifen selbst wechseln und so entfernte sich die Spitze mit jeder Sekunde. Nach 35 km Alleinfahrt konnte Paul Dinter, auch zur Überraschung der Zeitungsreporter, den Anschluss an die Führenden wiederherstellen. Doch sechs Kilometer vor dem Ziel sprang ihm, an aussichtsreicher Position liegend, bei voller Fahrt die Kette vom Rad, was ihn wieder viel Zeit kostete. Aber auch diesmal schaffte er es, die Lücke wieder zuzufahren, so dass er doch noch mit der Spitzengruppe durch das Ziel fahren konnte. Die kraftraubenden Aufholjagden ließen einen erfolgreichen Schlussspurt aber nicht mehr zu. Lohn der Mühe war jedoch ein dritter Platz in der Gesamtwertung.

Siegerehrung 1950 nach dem Etappensieg in Zittau, Quelle: Familienarchiv

Die siebente Etappe, die von Chemnitz nach Zittau führte, wies eine Besonderheit auf. Sie wurde in zwei Teilabschnitte aufgegliedert. In ein 70 km Einzelzeitfahren von Chemnitz nach Dresden und nach einer kurzen Ruhepause als Halbetappe von Dresden nach Zittau. Paul Dinter erwies sich auf dieser Etappe als überragender Fahrer. Er konnte zwar keine der beiden Halbetappen gewinnen, war am Ende des Tages aber der Fahrer mit der besten Gesamtfahrzeit und damit Etappensieger. Nach dem Einzelzeitfahren, dass er als Zweitplatzierter abschließen konnte, wurde er auch auf dem zweiten Tagesabschnitt Zweiter hinter Lothar Meister I.. Paul Dinter fuhr auf dieser Etappe mit 37,1 km/h auch die schnellste Durchschnittsgeschwindigkeit aller Etappensieger.

Als das Fahrerfeld am 13. August 1950 wieder in Berlin ankam, wurde Paul Dinter als hervorragender Vierter in der Gesamtwertung geführt.
Die sehr gute Platzierung bei der „DDR-Rundfahrt“ war wohl ein Hauptgrund dafür, Paul Dinter auch in die Auswahlmannschaft der Friedensfahrt 1951 zu berufen.
 
 
 

1951

Wegen der Teilnahme an den „Internationalen Rumänischen Meisterschaften“ konnte Paul Dinter 1951 die „DDR-Rundfahrt“ nicht bestreiten.

1952

Streckenführung 1952, Quelle: Familienarchiv, Begleitheft zur DDR-Rundfahrt

Die IV. „DDR-Rundfahrt“ des Jahres 1952 hatte einen ähnlichen Streckenverlauf wie 1950. Start und Ziel waren wieder in Berlin. Insgesamt starteten 108 Fahrer zu der über 1.500 Kilometer langen Rundfahrt im September 1952. Paul Dinter fuhr für die Mannschaft „Motor I“.

Auf der ersten Etappe von Berlin nach Stralsund konnte sich kurz vor dem Ziel eine Dreiergruppe absetzen, die den Sieg unter sich ausmachen konnte. Paul Dinter führte das Hauptfeld an und konnte sich im Schlussspurt gegen die anderen Fahrer behaupten und wurde Vierter.

Die zweite Etappe von Stralsund nach Schwerin war eine Unwetteretappe. Strömender Regen und straffer Wind machten den Fahrern zu schaffen. Immer wieder kam es auch zu Materialausfällen. Paul Dinter wurde auf dieser Etappe Achter, seine Mannschaft Motor I belegte in der Mannschaftswertung nach diesem Abschnitt Rang 1.

Die dritte Etappe führte von Schwerin nach Magdeburg. Die Zeitungsartikel, die sonst immer voll des Lobes über das Aufbauwerk und den Sozialismus waren, kamen aber nicht umhin, hin und wieder die schlechten Straßenverhältnisse in den Dörfern und Städten zu beschreiben. Zahlreiche Stürze und Materialschäden im gesamten Fahrerfeld zeugen von den schlechten Streckenverhältnissen. Paul Dinter war nach dieser Etappe siebenter in der Gesamtwertung.

Die Mannschaft von SV Motor im Rosa Trikot der führenden Mannschaft, Dinter 2.v.l., Quelle: Familienarchiv

Auf der vierten Etappe von Magdeburg nach Erfurt lief es alles andere als gut für die Mannschaft von Motor I. Nur Paul Dinter war in der Tageswertung unter den ersten 25 Fahrern zu finden. Er kam bei der Massenankunft, bei der Stadioneinfahrt führte er noch, auf einen sehr respektablen fünften Platz und verbesserte sich in der Gesamtwertung um einen Platz. Motor I musste die Rosa-Trikots für die führende Mannschaft nach dieser Etappe abgeben.

Die fünfte Etappe führte das Fahrerfeld von Erfurt nach Leipzig. Immer wieder traten einige Fahrer zu Ausreißversuchen an und konnten sich absetzen. Paul Dinter war im Hauptfeld dabei, musste aber in Merseburg vom Rad, weil er wieder einmal einen Reifenschaden hatte. Unendlich lang erscheinende fünf Minuten verlor er hier. Am Ende des Tages lag er auf Platz sieben der Gesamtwertung.

Die folgende Etappe von Leipzig nach Chemnitz hatte einige starke Anstiege im Programm, die das Feld weit auseinanderzogen. In den Bergen konnte sich eine sechsköpfige Spitzengruppe absetzen und einen Vorsprung herausfahren. Bei der Stadionankunft im Zielort waren es nur noch vier Fahrer, die um den Tagessieg kämpften. Für Paul Dinter reichte es knapp nicht und er wurde Zweiter hinter dem Vortagessieger Zieger.

Die siebente Etappe von Chemnitz nach Dresden wurde wieder als Einzelzeitfahren gestartet. Im Abstand von jeweils zwei Minuten kämpften die Fahrer gegen die Uhr. Und wieder konnte Dinter unter Beweis stellen, dass er ein ausgezeichneter Einzelfahrer war. Am Ende der Etappe kam er auf dem vierten Platz. In der Gesamtwertung rutschte er auf den fünften Rang vor.

Die Schlussetappe von Dresden nach Berlin startete bei strömendem Regen. Bei einer Massenankunft in Berlin kam Paul Dinter mit dem Hauptfeld ins Ziel und konnte so seinen hervorragenden fünften Platz in der Gesamtwertung verteidigen. Seine Mannschaft belegte in der Gesamtwertung Rang vier.

1953 bis 1956

Für die folgenden Jahre liegen zur „DDR-Rundfahrt“ im Familienarchiv nur wenige Zeitungsartikel oder Notizen von Paul Dinter vor. Das Jahr 1953 war durch den Gewinn der Mannschaftswertung bei der Friedensfahrt, Paul Dinter war der Kapitän, schon außerordentlich erfolgreich.

Bei der V. „DDR-Rundfahrt“ startete Dinter zusammen mit Schur, Trefflich, Meister I. und Zabel als DDR I und holten sich erwartungsgemäß auch den Gesamtsieg in der Mannschaftswertung. Als Einzelfahrer konnte Paul Dinter einige gute Platzierungen erfahren, so wurde er z.B. auf der schweren Etappe von Magdeburg nach Erfurt Achter. In der Endabrechnung belegte Paul Dinter letztendlich Rang 18.

Paul Dinter bei einem Radrennen 1954, Quelle: Familienarchiv

Im Jahr 1954 ging Paul Dinter erneut an den Start zur VI. „DDR-Rundfahrt“ und belegte am Ende des Rennens, in einem neunzig Mann starkem Feld, Platz 13 in der Gesamtwertung. Nochmals einen herausragenden Einzelerfolg konnte er auf der Etappe von Erfurt nach Magdeburg für sich verbuchen. Hier wurde er hinter Schur und Trefflich Dritter in der Tageswertung.

Im Jahr 1955 startete Dinter wieder für die Mannschaft von SV Motor. Das Feld war über einhundert Fahrer stark. Auf der ersten Etappe von Berlin nach Stendal setzte er erneut einen Achtungserfolg. Kurz nach Genthin löste er sich mit einer kleinen Gruppe vom Feld und wurde beim Zielspurt Sechster. Im weiteren Verlauf der Rundfahrt konnte er jedoch keine so guten Ergebnisse wie in den Jahren zuvor erringen. Letztendlich kam Paul Dinter „nur“ auf Platz 35 der Gesamtwertung.

Auch 1956 nahm Paul Dinter, diesmal zum letzten Mal, an der VIII. „DDR-Rundfahrt“ teil. Wieder startete er für den SV Motor. Ergebnisse von Dinter liegen mir für diese Rundfahrt nicht vor. Überschattet wurde die Rundfahrt jedoch vom Tod des Berliner Rennfahrers Erich Schulz auf der sechsten Etappe, der nach einem Sturz an den Folgen des erlittenen Schädelbruchs verstarb. Erich Schulz war Mitglied der DDR-Mannschaft bei der Friedensfahrt 1953, die Paul Dinter erfolgreich zum Mannschaftssieg führte.

Am Ende des Jahres 1956 beendete Paul Dinter seine aktive Radsportkarriere.