Johannes Joseph Seyer

Johannes Seyer – Mein Großvater

Kindheit

Johannes Joseph wurde als zweiter Sohn seiner Eltern am 2. Juli 1917, wie auch seine Geschwister, in Marienfelde geboren. Er erhielt die Taufe am 15. Juli 1917 in der katholischen Kirche Herz-Jesu in Tempelhof. Seine Paten waren Otto und Margarethe Weber.
Nach eigenen Aussagen waren die Kindheit und die spätere Jugendzeit von Hans, wie er kurz genannt wurde, vielfach geprägt von Auseinandersetzungen der Katholiken mit den Kommunisten. Die Wohnviertel grenzten unmittelbar aneinander und so waren Prügeleien und Steinwurfattacken an der Tagesordnung. In seinem Viertel hieß er nur der „Rote“. Dieser „originelle“ Spitzname rührte nicht von seiner Gesinnung, sondern von seiner roten Strickjacke her, die er immer trug.

Johannes als Jugendlicher, Quelle: Familienarchiv

Da sich die Mutter wegen ihres Ladens recht wenig um ihre Jungen kümmern konnte, verbrachten Hans und sein jüngerer Bruder Gerhard ihre letzten Schuljahre in einem Konvikt in Fritzlar.
Neben der Schule mussten Hans und seine Geschwister im elterlichen Laden aushelfen. Er fuhr Einkäufe zu den Kunden nach Hause oder tätigte Wareneinkäufe in den umliegenden Dörfern bei den Bauern. Später wurde dazu das familieneigene Lieferfahrzeug, ein Motor-Dreirad genutzt.
Auch in der großelterlichen Bäckerei in Bomst arbeitete Hans nach eigenem Bekunden, zumindest in den Ferien, kräftig mit.
Ein großes Hobby von ihm war seit früher Jugend an der Fußball. Hier spielte er mit Vorliebe auf der Position des Torwartes.

Im Oktober 1932 begann Johannes eine vierjährige Lehre als Gas- und Wasserinstallateur bei Arthur Unger, Bismarckstraße in Berlin-Charlottenburg.
Nachdem er diese Lehre im Oktober 1936 erfolgreich mit dem Prädikat „fast gut“ abgeschlossen hatte, arbeitet er bis zum Februar 1938 noch bei Arthur Unger als Installateur.
Im März 1938 wurde Hans arbeitslos. Danach, ab dem 5. April 1938 folgte wie für alle jungen Männer, der Reichsarbeitsdienst. Diesen absolvierte er als Arbeitsmann in und um Teltow, vorwiegend als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft. Gemeldet war er beim RAD Meldeamt 62 Potsdam/Ruhlsdorf.

Ab dem 26. Oktober 1938 war Johannes wieder in Zeesen gemeldet, der Reichsarbeitsdienst für ihn beendet.
Nach dem Reichsarbeitsdienst verdiente Hans sein Geld noch von November 1938 bis zum April 1939 als Rohrleger bei der Firma Fritz Birkholz in Wildau.

Soldatenzeit

(Eine ausführlichere Zusammenstellung seiner Soldatenzeit kann man hier nachlesen)

Nachdem in Deutschland, entgegen des Versailler-Vertrages, die Wehrpflicht wieder eingeführt worden war, trat Hans diesen ursprünglich auf zwei Jahre angesetzten Militärdienst am 19. April 1939 an. Eingezogen wurde er zum technischen Personal der Luftwaffe, obwohl er nie zur Luftwaffe gehen wollte. Laut Meldebescheinigung kam er zuerst nach Heiligenbeil zur Flieger-Ersatzabteilung 31.
Aus den zwei Jahren Wehrdienst wurde nichts. Am 1. September 1939 überfiel das Deutsche Reich ohne Kriegserklärung seinen Nachbarn Polen. Es war der Beginn des zweiten Weltkrieges.
Während des Polenfeldzuges und später auch während des Krieges gegen Frankreich war Hans immer beim Technischen Dienst der Luftwaffe als Flugzeugmechaniker eingesetzt. Seine Einheit, die 2. Fern-Staffel-Aufklärungsgruppe 121, war zuständig für die Luftbildaufklärung aus Höhen über 9000 m. 1940 war die Einheit verantwortlich für die Sicherung des Luftraumes im Osten, sowie des Berliner und mitteldeutschen Raumes. Nach dem Frankreichfeldzug 1940 wurde Johannes in Insterburg in Ostpreußen stationiert.

Die Fernaufklärereinheit kam nach nach dem Überfall auf die Sowjetunion Ende 1941 nach Nordrussland.
Anschließend, im Winter 1942/43 wurde die Einheit zum Versuchsverband des Oberbefehlshabers der Luftwaffe.

Im Feld, Quelle: Familienarchiv

Aus den Unterlagen der Wehrmachtsauskunftsstelle geht hervor, dass Hans ab Anfang Februar 1943 einen Aufenthalt im Kriegslazarett 4/619 Mariupol in der Ukraine hatte.
Während der Wartungsarbeiten an einem seiner Flugzeuge, knickte das Flugzeug plötzlich auf dem Arbeitsstand zur Seite weg. Hans befand sich mit dem Oberkörper in einem Fahrwerkschacht und wurde von der Last des Fluggerätes fast zu Tode gequetscht. Nur unter größter Anstrengung und unter Aufbringung aller Kräfte gelang es ihm, sich dem Flugzeug entgegenzustemmen. Als man ihn endlich unter der Maschine hervorgezogen hatte, schwebte er in höchster Lebensgefahr. Die Ärzte gaben ihn praktisch auf. Seiner guten körperlichen Konstitution und seinem starken Willen ist es zu verdanken, dass er sich im Lazarett langsam wieder erholte und seine Kräfte nach und nach wiedergewann.

Johannes als Soldat, Quelle: Familienarchiv

Für die Zeit vom April 1942 bis zum April 1945 sind, teilweise mit größeren Lücken, zahlreiche Feldpostbriefe von Johannes an seine Verlobte und spätere Frau Elisabeth Cichy erhalten.
Aus diesen Briefen geht unter anderem hervor, dass er sich Mitte April 1942 von München aus auf dem Weg nach Abbazia in Italien machte. Allerdings sollte er nicht zu Kampfhandlungen dorthin versetzt werden, sondern sich im Luftwaffenerholungsheim an der Adria aufhalten und erholen. Zu dieser Zeit war Hans schon Unteroffizier. Vor der Reise nach Italien traf er sich noch einmal mit seinem Vater in München.
In den Briefen geht es anfangs hauptsächlich um die geplante Hochzeit der beiden Verlobten. Lange geplant und immer wieder verschoben. Vom 3.Mai 1942 datiert eine Vollmacht aus Italien, dass Hans seine Verlobte Elisabeth Cichy ermächtigt, für ihn das Aufgebot für die spätere Hochzeit zu stellen. Ursprünglich sollte die Hochzeit wohl bereits zu Pfingsten 1942 stattfinden, wurde aber immer wieder aus verschiedenen Gründen verschoben.
Hans hielt sich drei Wochen in Italien auf. Der letzte Brief aus Abbazia ist datiert auf den 9. Mai 1942. Anschließend trat er einen dreiwöchigen Heimaturlaub an.
Nur einige wenige der Feldpostbriefe haben Ortsangaben.

Johannes wurde öfter von seinen Vorgesetzten darauf angesprochen, ob er sich nicht freiwillig auf zwölf Jahre Wehrdienst verpflichten wolle. Jedes Mal lehnte er ab. Trotzdem wurde er befördert.

Als Hans Elisabeth Cichy das erste Mal sah, war das für ihn Liebe auf den ersten Blick. „Die Frau wolle er heimführen“, so hat er sich gegenüber seiner Mutter nach dem ersten Treffen geäußert.
Im Jahre 1943 konnten die beiden Verlobten sich endlich das Jawort geben. Der Heiratsurlaub war beantragt, doch er wurde wiederholt nach hinten verschoben.

Während eines Lehrganges, höchstwahrscheinlich auf dem Luftwaffenstützpunkt in Krosno/Polen, konnte Hans dann doch noch einen Kurzurlaub antreten. Mit den Worten „Komme Sonnabend oder Sonntag, Heirat Mittwoch“ kündigte er per Telegramm am 18. März 1943 aus Krosno die Hochzeit für die Daheimgebliebenen an und löste damit in Wildau Chaos aus.

Telegramm zur Hochzeit, Quelle: Familienarchiv

Die Familie war doch ein wenig überrumpelt und unvorbereitet.
Als Soldat der Luftwaffe hatte er das Glück, nicht mit dem Zug in die Heimat reisen zu müssen, er konnte für die Heimreise ein Flugzeug nutzten.
Die Hochzeit wurde am 24. März 1943 in Wildau gefeiert. Die kirchliche Trauung fand in der St. Elisabeth Kirche in Königs Wusterhausen statt.

 

 

 

Hochzeit 1943, Quelle: Familienarchiv

Nach diesem Kurzurlaub ging es zurück nach Russland. Vor Kriegsende kam Hans nur noch einmal auf Heimaturlaub.

Seit der Niederlage von Stalingrad im Februar 1943 wendete sich das Geschehen auf den Schlachtfeldern des zweiten Weltkrieges zu Ungunsten des Deutschen Reiches. Die Deutsche Wehrmacht befand sich an allen Fronten auf dem Rückzug.
Johannes war inzwischen, trotz seiner ständigen Weigerung sich freiwillig auf zwölf Jahre zu verpflichten, zum Feldwebel befördert worden.
Eine Anfrage beim Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv vom 15. September 2015 ergab, dass Johannes während des Krieges keine registrierten Kriegsauszeichnungen erhielt. Allerdings ist der Schriftgutverlust des Archivs durch Kriegseinwirkungen sehr hoch, so dass möglicherweise Unterlagen zu ihm auch verloren gegangen sein könnten.
Im Jahr 1943 wurde die Fernaufklärereinheit nach Südrussland zur Luftflotte 4 verlegt.
Später, im September/Dezember wurde sie der Luftflotte 6 unterstellt. Ort der Stationierung war Stubendorf in Oberschlesien.
Die letzte Meldung eines Standortes ist auf den 26. März 1945 datiert. Standort der Truppe war jetzt Alt-Lönnewitz in Sachsen.
Kurz darauf geriet Hans in Russische Kriegsgefangenschaft und musste wie Hunderttausende anderer deutscher Soldaten den Weg nach Osten antreten.

Hans wurde im Kriegsgefangenenlager 7624 interniert.
Aus der Gefangenschaft sind drei Lebenszeichen in Form kurzer Postkarten erhalten geblieben, die letzte Karte ist datiert auf den 23. Juni 1947. Auf Anfrage beim Suchdienst des DRK nach Hinweisen zum Verlauf der Gefangenschaft erhielt ich einen sogenannten Lagerspiegel. Darin ist das Lager detailliert beschrieben. Demnach befand sich Lager 7624 bei Magnitogorsk im Ural ca. 250 km SSW von Tscheljabinsk. Dort wurden in der Zeit von Oktober 1942 bis Ende 1949 Tausende Menschen, vor allem aber Kriegsgefangene inhaftiert. Sie mussten bei Hungerrationen in Erdbunkern und Steinbaracken hausen. In Folge der mangelhaften Ernährung und der Unterversorgung mit Medikamenten herrschte im Lager eine hohe Sterblichkeit. Allein im Winter 44/45 starben über 2000 Gefangene an einer Hunger-Typhus Epidemie Die Gefangenen mussten in Russland, wie anderswo auch, sehr hart arbeiten. So wurden sie u.a., in Ziegeleien, Kalkwerken und Steinbrüchen, aber auch in der Landwirtschaft sowie im Straßenbau eingesetzt. Hans berichtete über die schwere Arbeit auf den unendlich weiten Feldern mit den primitivsten Hilfsmitteln. Dabei erzählte er auch, dass es die heimische Bevölkerung meist noch schlechter hatte als die deutschen Gefangenen.
Die fruchtbare Erde brachte selbst in den kurzen Sommern eine gute Ernte hervor.
Neben der schlechten Unterbringung und der Mangelernährung setzte der kalte Winter den schlecht bekleideten Menschen zu. Temperaturen um – 40 Grad waren keine Seltenheit.

Johannes wurde nach zwei Wintern in Russischer Gefangenschaft, abgemagert und entkräftet im Juli 1947 nach Deutschland entlassen.
Aus der Meldebescheinigung des Ortes Zeesen geht hervor, dass er am 28. Juli 1947 aus der Gefangenschaft wieder zurück in der Heimat war.
Diese Freigabe hatte er nur dem russischen Lagerarzt zu verdanken, der ihn im Gegensatz zum deutschen Arzt, nach einer Untersuchung entlassen hat, weil längere Entbehrungen den sicheren Tod in Russland bedeutet hätte.
Nach seiner Heimkehr war Hans erst einmal krankgeschrieben und anschließend bis zum Oktober 1947 auf Arbeitssuche.

Nach dem Krieg

Nach seiner vollständigen Genesung arbeitete er seit dem 13. November 1947 dann wieder in seinem erlernten Beruf als Rohrleger in Königs Wusterhausen, angestellt bei der Firma Karl Noffz. Das Arbeitsverhältnis währte bis zum Dezember 1949.
Vom 1. September 1947 bis zum 1. Juli 1949 wohnte die junge Familie bei Familie Stiebert in der Eisenbahnstraße in Zeesen. Dort wurde auch das erste Kind der Familie geboren.
Anschließend zog die Familie wieder zurück in das Elternhaus in der Lindenstraße.

Anfang 1950 wechselte er den Arbeitgeber und verdiente sein Geld fortan bei der Firma „Friedrich Cammann“ in Berlin. Sitz der Firma war die Schönhauser Allee 177.
Die Firma wurde später von Kurt Krüger übernommen und etwa 1965 in „Kurt Krüger KG“ umbenannt. Offensichtlich wurde die Firma etwa 1972 verstaatlicht, denn ab diesem Jahr findet sich unter gleicher Postanschrift im Versicherungsausweis der Arbeitgeber „VEB Zentralheizungsbau“.
Von 1977 bis 1982 arbeitete Johannes dann beim „VEB Technische Gebäudeausrüstung“ Betriebsteil Rohrleitungstechnik als Rohrleger. Dieser Betrieb war zuständig für die Wartung der Anlagen im „VEB Fotochemische Werke Berlin“
Hier führte Hans eine Rohlegerkolonne als Vorarbeiter bis zu seinem Renteneintritt.