Krankheiten unserer Vorfahren

Typhus, Pocken, Brustkrankheit und andere Erkrankungen

Als ich vor Jahren begann meine Forschungsergebnisse niederzuschreiben, um sie dann in einer Familienchronik zu veröffentlichen, habe ich mich auch mit den Todesursachen und mit den Krankheiten meiner Vorfahren beschäftigt. Ein äußerst spannendes Thema, dass gerade zur heutigen Zeit interessante Parallelen aufweist. Auch unsere Vorfahren hatten mit Epidemien oder sogar Pandemien zu kämpfen und das unter wesentlich schlechteren Voraussetzungen als heute.

Die schlechten Hygiene- und Lebensbedingungen in den Dörfern und Städten hatten zur Folge, dass es immer wieder zu seuchenartigen Ausbrüchen von verschiedenen ansteckenden Krankheiten kam.
Sorgte vor und während des Dreißigjährigen Krieges noch die Pest für Angst und Schrecken, wurde der „Schwarze Tod“ im 17. und 18.Jahrhundert von anderen Krankheiten abgelöst, die jedoch nicht weniger schlimm waren. Pocken, Typhus, Ruhr, Masern, Röteln und Keuchhusten füllten die Lücke, die die Pest hinterlassen hatte.

Das geringe Wissen um die Ausbreitung und die Bekämpfung dieser Krankheiten führte dazu, dass immer wieder zahlreiche Menschen an diesen heute leicht in den Griff zu bekommenden Krankheiten starben. Und es traf dabei vor allem die schwächsten Glieder der Gesellschaft, die Alten und Kinder.
Das medizinische Wissen war vor dreihundert Jahren nur rudimentär vorhanden. Allenfalls die Klöster verstanden sich auf die Anwendung von Heilkräutern.

Aderlass in der frühen Medizin, Quelle: Wikipedia – dort als gemeinfrei gekennzeichnet

Allheilmittel bei den meisten Krankheiten war das „zur Ader lassen“. Damit sollte das schlechte Blut aus dem Körper entfernt werden. Oftmals wurde der Patient durch diese Praktiken jedoch derartig geschwächt, dass er durch hohen Blutverlust oder Wundinfektion oft daran starb.

Aberglaube spielte eine große Rolle bei der Bekämpfung von Krankheiten. Sogenannte Bötfrauen wurden zu den armen Menschen gerufen, die sich keinen Arzt oder Chirurgus leisten konnten. Diese Bötfrauen versuchten dann, den Erkrankten mit allerlei Sprüchen wieder zur Genesung zu verhelfen. So wurde z.B. die Gürtelrose, die damals oft genug auch tödlich endete, mit folgendem Spruch behandelt.

„Hinterm Zaun
da steht ein Fliederbaum.
Der Fliederbaum, der blüht nicht mehr,
die Rose sticht nicht mehr“…..

Konnten sich besser betuchte Land- oder Stadtbewohner dann doch einen Arzt leisten, war das noch lange keine Garantie für eine baldige Genesung. Diese Ärzte verfügten kaum über Wissen zur fachgerechten Behandlung von Krankheiten oder Wunden. Offene Wunden wurden mit Kuhmist verbunden, in verabreichten Arzneien befanden sich oft Fäkalien oder giftige Schwermetalle wie Quecksilber. Das Ergebnis dieser Behandlungen kann sich heute selbst ein medizinischer Laie ausmalen.

Per Erlass wurde 1767 festgelegt, dass in den Kirchenbüchern fortan eine Todesursache zu notieren war. Dazu wurden etwa 25 „Hauptkrankheiten“ festgelegt, die dann beim Eintritt des Todes zuzuordnen waren. Nachfolgend nur einige Beispiele, wie sie fortan in den Kirchenbüchern zu lesen war.

Würmer, Schwämme und andere Kinderkrankheiten
Schlagfluß
Steckfluss und Engbrüstigkeit
Wassersucht
Schwind- Dörrsucht

In dieser Zeit gab es eine unter heutigem Gesichtspunkt sehr hohe Zahl an Frühgeburten, Totgeburten oder früh nach der Geburt verstorbenen Kindern. Meine Familie machte hier auch keine Ausnahme.
Das hatte die unterschiedlichsten Gründe. Für die arme Landbevölkerung gab es keine Schonung. Schwangere Frauen mussten bis zu ihrer Niederkunft schwer arbeiten und auch kurze Zeit nach dem Wochenbett gab es keine Sonderbehandlung. Viele Frauen bekamen fast in jedem Jahr ein Kind. Zehn Kinder und mehr waren keine Seltenheit. Schwache und kranke Mütter oder schwächliche und anfällige Kinder waren die Folge.

Die Geburtshilfe auf dem Lande oblag den Hebammen. Hebammen waren nicht speziell ausgebildet, sondern lernten ihren Beruf durch Beobachtung und Mitgehen bei anderen Geburtshelferinnen. Sie wurden schlecht bezahlt und übertrugen oft genug tödliche Krankheiten wie den Wundstarrkrampf oder Tetanus auf die ihnen anvertrauten Mütter und Neugeborenen. Oft liest man gerade bei Neugeborenen die Todesursache „Krämpfe“. Das Händewaschen und sterile Wundhygiene waren zu damaliger Zeit unbekannt oder wurden als überflüssig betrachtet und wurden demzufolge auch nicht praktiziert.

Problematisch für viele Säuglinge nach überstandener Geburt war, dass viele Wöchnerinnen durch Arbeit, Krankheiten und Mangelernährung kaum stillen konnten. Die Neugeborenen wurden mit verdünnter Ziegenmilch, Wasser oder oft auch mit Bier ernährt. Auch verdünnter Gemüsebrei und vorgekautes Brot fungierten als Säuglingsnahrung. Zum Ruhigstellen der kleinen Schreihälse diente nicht nur in der Prignitz der Kauzulp. Vorgekautes Brot mit etwas Honig vermischt. Das Ganze in einen Leinenlappen gebunden und in Milch oder Bier getaucht und dann dem Kind in den Mund gesteckt.
Die Kinder wurden oft über Stunden sich selbst überlassen oder von größeren Geschwistern beaufsichtigt, denn die Eltern mussten ihr Brot verdienen und konnten sich so kaum um die Kinder kümmern.

Immer wieder kam es auf Grund der schlechten hygienischen Umstände zum Ausbruch von Epidemien. Halbe Familien wurden binnen weniger Tage z.B. durch die Ruhr ausgelöscht.

Nahezu 80% der Bevölkerung infizierten sich im Laufe ihres Lebens mit den Pocken. Eine Krankheit, die hoch infektiös ist und über deren Verbreitung oder Vorbeugung im 18.Jahrhundert nicht viel bekannt war. Wer die Krankheit überlebte, war oft auf Dauer durch hässliche Narben am ganzen Körper entstellt. Oft kam es zu kleineren Epidemien innerhalb einzelner Dörfer. In den Kirchenbüchern trifft man als Todesursache oft die Pocken an. Das Problem war vor allem, dass man sorglos mit dem eitrigen Wundfluss umging, der auch an den Kleidern der Toten, die natürlich nicht entsorgt wurden, noch anhaftete. Wurden diese Kleider dann auch noch an fahrende Händler verkauft, machten sich die Pocken auf die Reise in die umliegenden Dörfer und Städte.
Erst ab etwa 1800 war es möglich, sich durch Infektion mit Rinderpocken vor der Ansteckung mit den tödlichen Erregern zu schützen. Im April 1805 forderte die Preußische Regierung offiziell dazu auf, sich mit den „Schutz-Pocken“ infizieren zu lassen. Der König ging mit positivem Beispiel voran. Dennoch dauerte es Jahrzehnte, bis sich diese Praxis auch auf dem Land durchgesetzt hatte. Heute gelten die Pocken als nahezu ausgerottet.

Bedingt durch die mangelnde Körperhygiene kam es auch zu anderen Epidemien. Hier waren Läuse, die nahezu in jedem Kleidungsstück ihr Unwesen trieben, die Überträger. Gemeint ist das Fleckfieber. In den Kirchenbüchern liest man im Sterberegister häufig als Todesursache „Hitziges Fieber“. Dem Tod vorausgegangen waren wirres Reden, Reaktionsarmut, Verstopfung und hohes Fieber.
Nachdem ein Familienmitglied verstorben war, gab man dessen Bekleidung entweder an Verwandte weiter oder die Sachen wurden an fahrende Händler mitsamt den Läusen verkauft, was dann zur Ausbreitung der Krankheit führte.

Eine Reihe von Kinderkrankheiten, gegen die heute leicht geimpft werden kann, endete in damaliger Zeit oft tödlich. Masern, Röteln und Scharlach stellten eine ernste Bedrohung für die Kinder unserer Vorfahren dar. Das wenige Wissen um die Krankheiten reichte gerade aus, diese einigermaßen richtig zu diagnostizieren. Behandeln konnte man die Krankheiten nicht. Man versuchte oft genug, das auftretende Fieber mit einem „Gegenfieber“ zu bekämpfen. Die Räume wurden stark geheizt, die Erkrankten warm eingepackt und die Fenster geschlossen und oft verdunkelt. Wie sich diese Rosskur auf den Genesungsprozess auswirkte, kann man sich vorstellen. Der schon vorher schlechte Zustand der Patienten musste unter diesen Bedingungen oftmals zum Kreislaufzusammenbruch führen.

Schlechte Nahrung, lichtarme Wohnräume und mangelnde Hygiene begünstigen eine weitere, in damaligen Zeiten oft zum Tod führende, Krankheit. Die Schwindsucht. Der Begriff Tuberkulose (TBC) setzte sich erst später durch. In älteren Sterberegistern finden sich häufig auch Begriffe wie Lungen- oder Wassersucht für diese Krankheit. Betroffene Menschen litten unter eitrigem Husten, der die Krankheit weiterverbreitete, ständigem Fieber, Blässe, Schwäche und Bettlägerigkeit. Die Krankheit führte zum frühen Tod. Oft gingen dem Tod auch Verkrüpplungen und Deformationen der Gliedmaßen voraus. Diese Verunstaltungen wurden in früheren Zeiten als Strafe Gottes angesehen. Erst mit der Entdeckung des Tuberkulosevirus durch Robert Koch und die Verbesserung der Lebensbedingungen, konnte man den Vormarsch der Krankheit eindämmen. Doch davon wussten unsere Vorfahren im 18. Jahrhunderts noch nichts.
Kleine Kinder und Säuglinge litten des Öfteren unter Diphtherie (Halsbräune) oder Keuchhusten. Auch diese Krankheiten führten zum Tode durch Ersticken, denn wie schon öfter erwähnt, war das Zuführen von kalter frischer Luft bei Krankheiten nicht üblich und gerade bei Hustenanfällen hätte das Linderung verschaffen können.

Als Todesursachen kommen häufig auch Begriffe wie Geschwulst, Kopfkrankheit oder Engbrüstigkeit vor. Ersteres steht sicher für Krebserkrankungen aller Art. Kopfkrankheit meinte oft Altersdemenz oder Alzheimer, die in der heutigen Form damals natürlich noch nicht als eigenständige Krankheiten bekannt waren. Engbrüstigkeit könnte die Atemnot und die Schmerzen eines Herzinfarktes benennen, den es auch damals schon als Todesursache gab.


Quelle: Ein interessantes Buch zur Regionalgeschichte in der Prignitz, das ich u.a. auch für meinen Text genutzt habe, ist: Ursula Stillich “Wolfshagen intim” (Vom beschwerlichen Leben und Sterben der einfachen Leute in der Prignitz)

Stock & Stein Verlags GmbH Schwerin, 2000, ISBN 3-932370-85-6